Es ist alles so kompliziert
© Martin Luksan Okt.2019
Herbert Kuhners Geschichte ist die des jüdischen Autors und Übersetzers, der nach Wien zurückkehrte und vom Betrieb der Literatur mehr oder weniger „ausgeschlossen“ wurde. Warum und in welcher Weise ist interessant. Man sollte seine Geschichte auch dann ernst nehmen, wenn man erkennt, dass es auch die Lebensgeschichte eines Verkannten ist, der die Schuld für Misserfolg ausschließlich bei anderen Menschen sucht. Denn sie beschreibt deutlich das Funktionieren von Konformismus in einer Welt der Schein – Autonomen und über den „Betrieb“ hinaus die verspätete Aneignung der Kunstmoderne in Österreich.

Martin Luksan

Flucht der Familie 1939 aus der “Ostmark“, mit dem Kind Herbert Kuhner, das sämtliche Verwandte, die nicht emigrierten, durch den Holocaust verlor. Herbert wurde Amerikaner, besuchte die Elite Lawrenceville Preparatory School in New Jersey und studierte dann Literatur an der Columbia Universität in NYC. Er fasste sogar den Beruf des Dichters ins Auge, doch seine für Macmillan Publishers bestimmten Gedichte und Roman wurden durch Zufall, nicht durch Ablehnung, nicht publiziert. In dieser Zeit zwischen Studium und Remigration hatte er Österreich nicht nur durch den Holocaust, sondern auch durch „Das österreichische Wort“ vor Augen. Er war ein Schöngeist, von Anfang an, liebte die alte Penn Station in NYC und kaufte dort die Taschenbücher des Grazer Stiasny Verlags und las sie in einem Kaffeehaus und in einer Bibliothek im Obergeschoss des Bahnhofs für die Intercity-Züge (Die Pennsylvania Station wurde später abgetragen und neu errichtet). Seine wichtigste Idee war, den einen oder anderen Autor jenes österreichischen Verlags ins Englische zu übersetzen.

Er hatte die österreichische Gesellschaft falsch vor Augen. Er stellte sie sich so geradlinig und offenherzig vor wie einen Konflikt, den er bei Macmillan selber miterlebt hatte. Ein Autor war gegen seinen Lektor handgreiflich geworden, dieser hatte ihn aus seinem Büro hinausgezerrt und ihm ein Kleidungsstück nachgeworfen. Doch in Wien wird die Brutalität psychisch, nicht physisch gelitten. In der Tat gab es hier höchstens eine – theaterhafte – Ohrfeige von Käthe Dorsch für Hans Weigel, und auch das war eine rare Ausnahme gewesen. Sohn und Mutter Kuhner entschlossen sich, nach Wien zu gehen, wobei sie naturgemäß Restitution im Auge hatten, denn das Haus der Familie im 2. Bezirk war weggenommen worden. Aber auch die Chancen eines Übersetzers, der österreichische Autoren auswählt und im englischen Sprachraum bekannt macht, spielten bei der Übersiedlung eine Rolle. Es kam dann anders, die Restitution konnte nicht gemacht und der hohe Anspruch eines jungen Übersetzers nicht eingelöst werden. Aber Kuhner lernte die Vertreter des Wiener Kulturbetriebs eher schnell als langsam kennen. Vor allem Jeannie Ebner, die in allen Gremien saß, und Wolfgang Kraus, der die Literaturgesellschaft (ÖGL) gegründet hatte. Und auch mit Otto Mauer, der die neueste Avantgarde – Malerei durch religiöse Mystik deutete, wurde er bekannt.

Die 1960 er Jahre waren eine Zeit, in der die Avantgarde schon sehr rege war, aber keine Öffentlichkeit bekam. Die Zeitungen und der monopole Rundfunk ignorierten sie fast völlig. Das heißt, dass vom Wiener Aktionismus und von der Wiener Gruppe die österreichischen Medien auf vernünftige Weise nicht berichteten. Man konnte manchmal den einen oder anderen Namen lesen, ihn aber als Leser ohne Kenntnisse von Moderner Kunst nur mit dem Bild eines Dilettanten oder Sittenstrolches verbinden.

H.Kuhner

Nun hat der konservativ empfindende Herbert Kuhner die Wiener Avantgarde von Damals nicht auf Herz und Nieren geprüft. Er ging ihr aus dem Weg und belastete sie auch nicht durch den Gedanken, der falsch ist und den er später manisch vertrat, dass sie mitten in der Kunst den NS Geist der Zerstörung reaktiviert. Das kam später. Ende der 1960 er war Kuhner noch kein Kämpfer gegen Ungeist und verkappten NS, sondern nur ein ästhetisch Konservativer, der das Neue manchmal an sich heran ließ. Andernfalls wäre er nicht nach Berlin gereist, um die Vertreter des Wiener Aktionismus, die nach Berlin emigriert waren, zu besuchen. Seine dortigen Begegnungen waren so desaströs, dass er sie in einem polemischen und witzigen Text verewigte. In „DA–DA GA–GA KA–KA, Duck Dich! Die Zukunft überrollt uns! “, erschienen – mit zeitlicher Verspätung – in Reinhard Federmanns „Pestsäule“ (Nr. 1, Sept. 1972, S. 69 – 74).

Ab dem Moment, schreibt Kuhner, „war ich in Österreich kein Unbekannter mehr. Da ich die heiligen Kühe der österreichischen Kulturszene literarisch abgeschlachtet hatte, war ich als ´Reaktionär und Faschist´ entlarvt. Sie haben gerade Selbstmord begangen, erklärte mir der Kulturredakteur des katholischen, intellektuellen Wochenblattes“ (H.K., „Der Ausschluss“, Ed. 39, Wien 1988, S. 46) „Die Pestsäule“ hatte nur eine kleine Auflage, doch alle, die es anging, und einige, die auch das Neue versuchten, und alle, die es förderten, lasen den besagten Text. Sie notierten sich Kuhner auf einer schwarzen Liste, die es vor 1970 gar nicht gegeben hatte. Doch jetzt war ein „Wandel des Kulturklimas“ passiert und der ästhetische Neuanfang musste absolut gut gefunden werden, damit das Land Österreich nicht als Kulturprovinz erschien.

Der Text von Kuhner wurde also kritisiert und in jeder Kritik der Kritik wurde sein Name weggelassen. Während dem Außenseiter so die Öffentlichkeit genommen wurde, wurde sein Name im Fachbereich abwertend verbreitet. Kuhner erlebte die Distanzierung von seinen Projekten, sei es eine Anthologie, eine Übersetzung, eine Lesung, die stets unerwartet und begründungslos erfolgte. ZB. wurde einem Maler, bei dessen Vernissage er aus seinen Texten lesen sollte, der Ausschluss aus Galerien sowie das Ende der Berichterstattung in Kunstzeitschriften angedroht. Das könnte man heute rechtlich verfolgen, wenn die Drohung etwa durch einen Brief geschah, doch in den 1970ern gabs nichts dagegen. Konformismus hat etwas Teuflisches an sich, weil er auf dem freien Willen mehrerer oder vieler Einzelner beruht, die sich konform verhalten und gleichzeitig den Druck leugnen.

1975/76 wollte Wolfgang Kraus die Teilnahme von Herbert Kuhner an einem australischen Poesie–Festival verhindern. Er war damals nicht nur Präsident der ÖGL, sondern auch Kultur – Koordinator im Außenamt. Durch ein „literarisches Gutachten“ kappte er die Entsendung Kuhners nach Adelaide. Das Wort „ungeeignet als Künstler, Österreich zu vertreten“ wog schwerer als die Nichtbezahlung der Reisespesen. „Die Regierung Ihres Heimatlandes“, schrieb die Festival–Leitung in Adelaide, „hat es abgelehnt, Sie nach A. zu senden. Sie scheinen bei denen recht unbeliebt zu sein.“ So fuhr der Außenseiter auf eigene Kosten. In Australien hatte er mehrere Lesungen und außerdem Kontakt zu der Zeitschrift“ Index“, in der er dann die Machenschaften von Kraus auflistete.

W. Kraus hat einem Autor geschadet, nur weil dieser die wilden Aktionisten kritisierte? Kaum zu glauben, aber so war es. Der konservative Wolfgang Kraus, der zB. die „Alte Schmiede“ als Konkurrentin der ÖGL missverstand, wollte der ihm fremden „roten Macht“ offenbar einen Dienst erweisen. Jemandem helfen, der Hilfe nicht braucht, in der Hoffnung, dass sich dieser positiv revanchieren wird, – ist die ekelhafte, aber effiziente Art des Karrieristen. Und dieser umtriebige Kulturfunktionär mit dem eingepflanzten Lächeln und den fabelhaft betitelten Sachbüchern, die ganz langweilig zu lesen sind, setzte seine eigene Rolle über alles andere (die Zeitgeschichte wird ihn vielleicht noch als Thema erkennen, so wie den Radiodirektor Rudolf Henz).

Die Kritik an Kraus in einer ausländischen Zeitung aktivierte ein ganzes Ministerium. Der Einzelne kritisierte hier den Fehler einer einzelnen Person und hatte auf einmal die ganze Institution gegen sich. Kuhner erhielt eine Einladung ins Außenamt, um dort die Sache, die so groß nicht war, durch ein Gespräch zu bereinigen. Das glückte nicht und in einer zweiten Sitzung, in der wieder Kraus fehlte, sollte Kuhner einfach ein Schuldgeständnis unterschreiben. Der Tapfere stand auf und ging und Tage später kam ein anonymer Anruf: „Herr Kuhner, wenn Sie Ihre Sache nicht einstellen, werden wir den Amtsarzt schicken.“

Kuhner wurde als „Psychopath“ verleumdet. Er, der bereits als „Provokateur“ und „schlechter Autor“ gehandelt wurde, musste jetzt Autoren und sonstige Mitarbeiter bei seinen Lyrik-Anthologien von der seelischen Geradlinigkeit seines Charakters überzeugen. Das ist wohl stets gelungen. Doch in einem Punkt hatte sich seine Weltsicht verengt. Er sammelte Material über die Kunstavantgarde und deutete sie einseitig und schwarz. Gerade damals traten die Vertreter der besagten Moderne in den internationalen Galeriebetrieb ein und wurden also auch in Österreich akzeptiert. Nicht von der Bevölkerung, von den Maßgeblichen. Von den Leuten, auf die es in einem Betrieb ankommt. Eben noch ignorierte und geächtete Künstler tauchten im Kunstverständnis der Großparteien auf (A. Rainer und H. Nitsch bei ÖVP, P. Weibel und O. Mühl bei SPÖ).

Heute sieht Kuhner die symbolische Gewalt in der Kunst nicht als Bruch im Werk oder als Austritt aus der Ästhetik, sondern als Zerstörung des Geistes schlechthin. Dabei klammert er sich an H- Niktsch, der Tiere auf der Bühne schlachtete und die ärgsten Sprüche von sich gab, aber auch an V. Export, die einen Vogel mit heißem Wachs begoss. In der Regel waren die Aktionen der Schock – Künstler auf symbolische Gewalt beschränkt. Kuhner aber, der Zeugnisse für symbolische (und echte) Gewalt fanatisch sammelt, will im Aktionismus nicht Unfug und Schwindel festgestellt wissen, sondern Gewaltlust und Nazigeist. „Die Sache läuft blendend“, schreibt er, „Die Aktionisten agieren als Antifaschisten/ Und haben als Künstler internationale Anerkennung errungen/ Und du kommst her und versuchst, alles zu vermiesen. / Kein Wunder, dass sie den Kritiker ausschalten wollen.“ (H.K., In: Die Nachwirkungen vergangener Tage) Was tatsächlich geschah, war komplizierter als Kuhner denkt. Die Mühl und Nitsch bezeichneten ihre Kritiker als „Nazis“, als „Nazispiesser“ und als „Ehemalige“. Das war für Kuhner, der die Nazis schockhaft erlebt hatte, die wahre Provokation. „Ich habe das Dritte Reich“, schreibt er, in sehr jungen Jahren erfahren/ Und bin jetzt dabei, Nachkriegsösterreich als Remigrant zu erleben. / Vielleicht kann ich dadurch manches schärfer erleben.“ (a.a.O.)

Im Nebel der Nazi – Metapher wird aber alles unklar. Vielleicht ausgenommen Otto Mühl, der eine Zeitlang Krüppel erschießen wollte, hatte das Schwatzen und Agieren der Aktionisten mit typischer Nazi – Gewalt nichts zu tun. Ihre Forderung nach Freiheit der Kunst war ein Ärgernis, aber das Schlachten von Tieren, das Verspritzen von Blut und Eingeweiden, der sexuelle Missbrauch und das Sich-Wälzen-im-Kot waren nicht typisch für Nazigewalt. Gewalt ist hier mit Orgie und Libertinage bildhaft verknüpft. Sie ist nicht verknüpft mit der Gaskammer und dem SS Mann, der sich vor dem Leichenberg übergibt. Leider hält Kuhner an der Nazi – Metapher fest und der eine oder andere Philosoph gibt ihm recht: „ich glaube tatsächlich, dass in der gesamten Kunstszene eine Nachfolge dieses Regimes (Hitler – Regime, Anm. M.L.) gegeben ist, denn sie ist die einzige erlaubte Diktatur in diesem Land.“ (H. Kohlenberger in dem Film „Das Meisterspiel“ von Lutz Dammbeck). So wird auch die Freiheit der Kunst unzulässig strapaziert, sie soll echte Diktatur ermöglichen.

In seiner Klage gegen das Unrecht erkundigte sich Kuhner, „ob ich meinen Fall internationalisieren könnte. Man erklärte mir, dass dies nur möglich sei, wenn der Fall vorher vom Österreichischen VGH behandelt worden sei. Dr. Starr meinte, dass ein solches Verfahren Jahre dauern könnte (…) Während die Travestie des Außenamtes ihren Lauf nahm, schrumpfte die Zahl meiner Autoren-Freunde. Schließlich konnte ich sie an einem Finger abzählen.“ (H.K., Die Ausschließung, S. 88) Der offenbar letzte Freund diskutierte die Sache gut und gern. Er war in einer „Liga für Menschenrechte“ tätig und brachte dennoch den Fall Kraus/Kuhner in seinem Verein nicht zur Sprache. Er hielt ihn für ein Missverständnis. Für die Mischung aus Missverständnis und Gemeinheit bezahlte Kuhner mit viel Zeit, Geld und Leid.

Der sture und unbelehrbare Herbert Kuhner ist in eine Sackgasse geraten, aus der man nur durch Nachdenken herauskommt. Er hat zu viel Pech und Unrecht erlitten. Er hat die Kunstavantgarde in dem Moment kritisiert, als sie in Österreich – politisch – aufgewertet wurde. Ein leerer Karrierist, der nur seine Macht zeigen wollte, hat Kuhner aus der Bahn gedrängt. Und ein Milieu freiberuflicher Autoren, bei denen man echte Autonomie vermuten würde, hat ihn durch Konformismus zusätzlich isoliert. Nur da und dort, nicht in jedem Buch, stiess Kuhner zur Poesie durch. Sein Übersetzen konnte er nicht im großen Ausmaß betreiben. Er wäre der Richtige dafür gewesen, eine gute, unbekannte, europäische Lyrik im englischen Sprachraum zu verbreiten. Leider kam es anders.

© M.Luksan, Oktober 2019